Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

ein breites Bündnis kritisiert den geplanten Paragraphen zum Wohnungsbau § 246e BauGB der Bundesregierung, mit dem ein Bau-Turbo auf der grünen Wiese entfacht werden soll. Damit würden Flächenfraß und Naturzerstörung im BauGB verankert und Beteiligungsprozesse ausgehebelt.

07.02.2024 – Die Bundesregierung will mit einem neuen Paragraphen im Baugesetzbuch einen „Bau-Turbo“ für den Geschosswohnungsbau auf der grünen Wiese einführen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht klima- und flächenschutzpolitische Fehlanreize und fordert in einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis die Bundesregierung auf, grundlegend umzusteuern.

Vor rund zwei Jahren hatte die Bundesregierung das ehrgeizige Ziel formuliert, jährlich 400.000 neue Wohnungen – davon 100.000 Sozialwohnungen – zu schaffen, um der Wohnungskrise vor allem in Ballungsgebieten Herr zu werden. 270.000 Wohnungen wurden im Jahr 2023 tatsächlich fertiggestellt. Branchenverbände bemängeln aber vor allem, dass es an wirkungsvollen Maßnahmen in anderen Bereichen fehle – etwa in der Bodenpolitik, im Mietrecht sowie zur Ertüchtigung des Bestands. Die Bewältigung der anhaltenden Wohnungskrise erfordere eine umfassende Strategie im Einklang mit sozialen Belangen sowie Klima- und Umweltschutz, mahnen die Verbände.

Um den Wohnungsbau zu beschleunigen, wurde auf dem Baugipfel im September 2023 der sogenannte „Bau-Turbo“ angekündigt. Eine konkrete Ausgestaltung liegt jetzt mit der Formulierungshilfe aus dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) in Form des § 246e Baugesetzbuch (BauGB)vor. Demnach soll in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt für Projekte mit mehr als sechs Wohnungen bis Ende 2026 von den Vorschriften des BauGB weitreichend abgewichen werden können.

„Mit ihrem Neubau-Wahn treibt die Bundesregierung Flächenfraß und Naturzerstörung weiter voran“, warnt DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz. Ein Bau-Turbo für den Geschosswohnungsbau auf der grünen Wiese wäre nicht nur rechtlich zweifelhaft, sondern würde auch demokratische Beteiligungsprozesse einschränken.

Eldorado für Spekulanten statt Schaffung von bezahlbarem Wohnraum

Anstelle der etablierten Planungskultur, demokratischer Beteiligungsprozesse und des kommunalen Initiativrechts soll ein immenser Teil des Innen- wie Außenbereichs potenzielles Bauland für den Geschosswohnungsbau werden. Die geplante Regelung setze damit klima- und flächenschutzpolitische Fehlanreize, warnen die Verbände. Das schaffe potenziell gravierende Konsequenzen für die Siedlungspolitik, die Lebensqualität, die sozial-ökologische Transformation der Wohnungspolitik sowie für die Planungs- und Beteiligungskultur in Deutschland. Das breite Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteure spricht sich daher klar gegen die Einführung des neu eingebrachten § 246e BauGB aus.

Entdemokratisierung der Planungskultur

Mit fast 900.000 genehmigten, aber noch nicht gebauten Wohneinheiten (sog. Bauüberhang) stehe großes Potenzial zur Schaffung von Wohnraum auf bereits ausgewiesenem Bauland zur Verfügung. Die vielfältigen Ursachen des reduzierten Neubauvolumens würden mit der Einführung des § 246e BauGB nicht adressiert. Damit fehle die fachliche Rechtfertigung für die „Einführung einer Notstandsregelung“ und eine derartig einschneidende „Generalbefreiung“ von den Regelungen des BauGB.

Das BauGB sieht im Rahmen der Bauleitplanung eine verbindliche Beteiligung der Öffentlichkeit und damit die Anhörung, Berücksichtigung und Abwägung von Belangen der Öffentlichkeit sowie von Fachbehörden vor. Die Einführung des § 246e BauGB als Abweichungsverfahren ohne geregelte Beteiligung bedeute dagegen eine Entdemokratisierung der Planungskultur und beschneide auch die kommunale Selbstverwaltung. „Dies kann weder im Sinne einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft noch einer geordneten städtebaulichen Entwicklung sein“, schreibt das Bündnis.

Hintertürchen für Umgehung des regulären Baurechts

Der Entwurf erinnere vielmehr an eine mögliche Ersatzregelung für den zuvor rechtswidrigen § 13b BauGB. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) im Juli 2023 bestätigte damals den Verstoß gegen EU-Recht. Obwohl die Regierungsfraktionen die Beendigung des § 13b BauGB befürworteten, scheint der vorgeschlagene § 246e BauGB eine Hintertür für ähnliche Regelungen zu bieten. Dies könnte Kommunen dazu verleiten, das reguläre Baurecht zu umgehen.

Bodenspekulations-Turbo

§ 246e BauGB gewährleiste weder die Bezahlbarkeit der von ihm umfassten Wohneinheiten noch deren tatsächliche Realisierung. Es fehlten klare Anforderungen zur Schaffung von sozial gefördertem Wohnraum oder zur Einhaltung von Mietobergrenzen. „Der geplante Neubau kommt ohne verbindliche Mietobergrenzen daher und würde keinen Beitrag zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum leisten“, kritisiert Metz. „Den verbindlichen Vorgaben für Klimaschutz und Flächenverbrauch stehen die Pläne sogar entgegen. Indem die Bundesregierung die Bestandsgebäude vernachlässigt, blockiert sie eine nachhaltige und umweltverträgliche Stadt- und Siedlungsentwicklung.“ Ein wichtiger Baustein für die Lösung der Wohnungskrise liege dagegen in der Sanierung und Instandsetzung des Bestands.

Darüber hinaus wird die angemessene Planung und Bereitstellung der erforderlichen sozialen und klassischen Infrastruktur sowie die Berücksichtigung von gewerblichen Belangen nicht ausreichend sichergestellt. „Infolgedessen trägt § 246e BauGB nicht effektiv zur Bewältigung der Wohnungskrise bei“, schreibt das Bündnis. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass soziale Probleme noch verschärft oder sogar neugeschaffen werden.

Denn § 246e BauGB eröffne Optionen auf Baugenehmigungen in allen Arealen, die derzeit über die Bauleitplanung, die kommunalen Abwägungsvorgänge und weitere Satzungen geschützt sind. Dadurch werden Vorgängen der Bodenspekulation in großem Stil Tür und Tor geöffnet. Es entstehen Verdrängungsprozesse zu ungunsten nicht-kommerzieller und weniger renditestarker Nutzungen  wie etwa Handwerk, Gewerbe, kleinteiliger Einzelhandel, Gemeinbedarf und Kultur. „Eine nachhaltige und sozial gerechte Stadt- und Siedlungsentwicklung wird damit gefährdet“, mahnen die Kritiker.

Warnung vor klima- und flächenschutzpolitischen Fehlanreizen

Deutschland hat sich bis 2030 zur Verringerung des Flächenverbrauchs auf höchstens 30 ha/Tag verpflichtet und strebt bis 2050 sogar das Flächenverbrauchsziel Netto-Null an. Bis dato fehlen dem BauGB jegliche Instrumente, dies mit der erforderlichen Konsequenz auf den Weg zu bringen. Doch § 246e BauGB sei keine Lösung, heißt es im Appell der Verbände, es verschlimmere die Zersiedelungsproblematik und konterkariere die Erreichung der Flächenverbrauchsziele, indem die Voraussetzungen für Vorhaben an den Siedlungsrändern und auf der „grünen Wiese“ verwässert werden.

Dies gehe auch zu Lasten von Naturschutzbelangen und der benachbarten Landwirtschaft, indem die Konkurrenz um Agrarland verstärkt und Preisanstiege durch Spekulationsvorgänge gefördert werden. § 246eBauGB würde in Ballungsgebieten der Umwandlung von Grün- in Bauland Vorschub leisten und diese wertvollen Ökosysteme zerstören. Gerade angesichts des demografischen Wandels fördert die Regelung eine Belastung der kommunalen Haushalte durch unkontrolliertes Flächenwachstum und dadurch begründete, steigende Infrastrukturkosten.

Bestand nutzen statt Abriss und Neubau

Zudem werde – angesichts der enormen Treibhausgasemissionen im Bausektor – die Nutzung des Bestands unabdingbar. § 246e BauGB unterlaufe die notwendige Fokussierung auf den Innenbereich und privilegiere dagegen Abriss und Ersatzneubau ohne entsprechende Abwägungsoptionen zum Schutz der im Bestand gespeicherten grauen Energie sowie vor sozialer Verdrängung. Fazit des Bündnis: „§ 246e BauGB konterkariert somit die sozial-verträgliche Erreichung der Klimaziele.“

Im Bündnis sind neben Umwelt- und Naturschutzverbänden wie NABU und BUND auch Akteure, die am Bauen sowie der Schaffung neuer Wohnungen stark interessiert sind – darunter der Bund Deutscher Architekten, Bauhaus der Erde, der Deutsche Mieterbund sowie Architects for Future. Auch sie fordern eine Bauordnung für mehr Klimaschutz, vor allem für das Bauen im Bestand – dafür hatte die Initiative bereits 2021 nachhaltige Änderungsvorschläge erarbeitet. na

3 Kommentare
  1. Karlheinz Grabmann sagte:

    Bau – Turbo wo?

    Sechs Monate sind vergangen, daß Olaf Scholz ein Maßnahmenpaket für eine Trendwende in der Bau- und Wohnungswirtschaft versprochen hat.
    Schleppend gibt es Umsetzungen.

    Verbesserte Abschreibebedingungen Fehlanzeige.
    Förderprogramme für leer stehende Büros und Läden zu neuen Wohnungen stehen nur im Konzept.
    Auf kostenintensive Standards sollte verzichtet werden beim Gebäudetyp E. E Steht für einfach. Fehlt leider!

    Fördermittel gehen der KfW aus!

    Die Aussage von bezahlbaren Wohnraum seitens der SPD z.B. Olaf Scholz, Mike Josef ist gescheitert.

    Deutschland befindet sich in der größten Wohnungsbaukrise seit Jahrzehnten. Sie ist hausgemacht.

    Verbände stehen dem Bau-Turbo kritisch gegenüber.
    Kein Bau-Turbo, keine Entlastung und kein Ende in Sicht.

    Die Stadtplanung Frankfurt muss endlich der Planung der Josefstadt ein Ende setzen.

    Antworten
  2. Karlheinz Grabmann sagte:

    Für nicht alle Entwicklungen im Wohnungsmarkt ist die Politik verantwortlich. Investieren sollte leicht gemacht werden.

    Experten gehen eher von einer fallenden Zahl an Neubauten in 2024 aus – eine Ende der unbefriedigenden Situation ist nicht in Sicht.
    21 Euro wird für einen Quadratmeter Neubau aktuell verlangt.
    Investoren zahlen aktuell drauf und sagen deutlich: “Wer heute baut, geht bankrott”
    Die notwendigen Reformen des Bundesbaugesetzes stagnieren und die zusätzlichen Landes und Stadtverordnungen im Bauwesen mach es erst recht kompliziert.
    Befreiungen von Genehmigungen für Bauen auf der grünen Wiese und in Gewerbegebieten stößt auf starken Widerspruch. Gerade bei der geplanten Josefstadt gibt es keine Gründe zum Bauen und trotzdem will man es gegen den Willen von Bürgern und Bürgerinitiativen durchsetzen.
    Kann-Vorschriften bleiben wirkungslos und schaffen immer wieder Spielraum für Stadtplaner neue Spielchen zu spielen. Wie aktuell die Stadt Frankfurt in Verhandlung mit dem Regierungspräsidium. Alles hinter verschlossenen Türen! Bürgerbeteiligung sieht anders aus.
    Der große Bürokratieabbau am Bau ist nicht in Sicht.
    Das Politikversagen nach bezahlbaren Wohnraum wird immer angespannter und führt zu preistreibenden Effekten.
    Die geplante digitale Überwachung von Mietpreisen in Frankfurt am Main um ihren Mietpreis auf Konformität mit dem Mietspiegel prüfen zu lassen, sehe ich kritisch. Die Verwaltung der Stadt gibt Unterstützung bei evtl. Verfahren zu Lasten der Steuerzahler. Der Mieter muss sich um nichts kümmern.
    Ich sehe eine digitale Überwachung der vermietenden Bürger. Es ist zu befürchten, daß Vermieter sich aus diesem Markt zurückziehen und Wohnungen verkaufen. .

    Antworten

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